Advents-Besinnungen

Ich weiß nicht, wie ich diesen Text anfangen soll, ohne dass er klingt wie die jährliche Weihnachtspredigt in meiner Heimats-Gemeinde.Was auch nur insofern schlecht ist, dass ich das Predigen lieber den Priestern lasse, und dass diese Predigten irgendwie immer gleich klingen.

Das Format in etwa:

  • X: ein Problem, mit dem sich mittelständige deutsche BürgerInnen (vorzugsweise im Alter von etwa 40-80) identifizieren können.
  • Y: eine Geschichte aus der Bibel, die in irgendeinem Bezug zu diesem Problem steht.

Der Ablauf

X, dann Y, und dann lasst uns beten und besinnen und zur Ruhe kommen.Und dann singen wir ein Lied, der Stern über der Orgel macht seine jährliche Aufwartung (als Kind war das Klingen des Sterns zum Gesang von “Oh Du Fröhliche” immer der Nostalgie-Höhepunkt des Gottesdienstes). Wir bekommen eine Kerze und tragen sie heim, wo wir mit unseren jeweiligen Familien die jeweiligen Weihnachtsrituale durchlaufen.
Nun ja, und ein neues Ritual ist ab heute eben: eine Besinnungs-Pause am Adventssonntag.Sich Besinnen, ist in meinen Augen eine akzeptablere Variante des Nachdenkens. Akzeptabler, weil ich mir Leute vorstelle, die sagen: “Aber Ronja, du denkst doch immer nach!” (und ein implizites “warum bist du nicht bald fertig mit dem Denken?”). Und auch irgendwie entspannter, mehr meditativ. Sich Besinnen klingt mehr nach Heißgetränk und Kerzen und Gedanken schweifen lassen, aber dann doch irgendwie irgendwohin kommen. So, als müsste man nur in sich gehen, oder zu sich kommen, um eine Wahrheit zu sehen, statt den engstirnigen Schritten gründlichen Denkens zu folgen. Ich glaube nicht so ganz daran. 

Eine große Ursache unseres Leidens ist, uns selbst und andere zu beurteilen

Aber dann, auf der anderen Seite, ist da gerade etwas am Rande meines gedanklichen Sichtfeldes – so als wäre da eine Einsicht, die sich nicht ganz traute, herauszukommen, wie ein scheuer Fuchs.Ich verstehe ihn; mein lieber Fuchs hat Angst, immer sofort der Strenge der Logik unterworfen zu werden, dabei ist er doch eigentlich ein wildes Tier.Der wolkige Gedanke, der sich nicht so recht formen will, hat etwas mit judgement zu tun, damit, andere Menschen zu bewerten, sich selber zu bewerten, überhaupt im Rahmen von “gute Menschen” – “schlechte Menschen” zu denken.Was diesem Gedanken trotz seiner ausweichenden Art seine Resonanz gibt, ist, dass ich ihn immer wieder in leicht verschiedener Form finde. Beim Meditieren. Wenn ich über gewaltfreie Kommunikation lese, wenn ich mich an Brené Brown’s Werken gütlich tue, selbst wenn ich über Moralphilosophie nachdenke (und nicht nur bei Nietzsche, den man ja bekanntlich mit allem möglichen in Verbindung bringen kann), und auch dann, wenn ich einfach nur beobachte, was in mir und in anderen Menschen vorgeht. Der Grundgedanke ist wirklich nur, dass eine große Ursache unseres Leidens ist, uns selbst und andere zu beurteilen. Es klingt so einfach – und doch will ich unterbewusst gleich den Schluss ziehen: “es ist schlecht, andere Menschen zu beurteilen”. Wobei ich mich dann schon wieder auf der abschüssigen Piste bis nach “ich bin ein schlechter Mensch, wenn ich andere beurteile” befinde. Und da will ich nicht hin. Da bin ich schon viel zu oft, und ich bin sicher, dass es anderen genau so geht.
An dieser Stelle will ich nun auch gar kein Argument machen, warum es nicht hilfreich (und sogar lebensfeindlich) ist, sich selbst und andere zu bewerten.

Stattdessen lade ich euch, die ihr das lest, dazu ein, erst mal selbst zu beobachten. Wann bewertet ihr andere? Wann euch selbst?Und wie fühlt sich das jeweils an? Und was fühlt ihr dabei wirklich? (Tipp: “Ich fühle, dass X ein Idiot ist” ist kein Gefühl, sondern immer noch ein Ausdruck von einer Meinung über X. Ein Gefühl könnte so etwas sein wie “ich fühle mich verletzt, wenn X ihre Tassen in der Büro-Küche nicht wegräumt, (z.B. weil ich mir einrede, dass sie mir damit sagen will, dass sie mich nicht respektiert)”.)


Vielleicht ist die Idee von Advents-Besinnung umso schöner, wenn ich mir vorstellen kann, dabei nicht die einzige zu sein. Bis hoffentlich zum nächsten Advents-Sonntag, mit neuen Beobachtungen und Gedanken.

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